"Große Liegende" von Wanda Pratschke

die liegende Skulptur einer nackten Frau.
Große Liegende von Wanda Pratschke

„Diese Plastik ist nicht völlig symmetrisch, sie ist statisch, stark und von Leben erfüllt, aus ihr kommt etwas von der Energie und Kraft großer Berge.“ (Henry Moore, 1930)

Eine solcherart angedeutete Vitalität geht von Wanda Pratschkes Großer Liegenden aus. Mit kraftvoller Gebärde lagert sie sich auf flachen Sockelelementen im Innenhof des Kreishauses, umgeben von der Wasserfläche der Brunnenanlage. Dabei vereinigt die Figur zwei Bewegungsstadien: zum einen das der Dehnung des Rumpfes, dem angewinkelt und entspannt lagernden rechten Arm und den leicht aufliegenden Fuß- und Unterschenkelpartien; zum anderen die angedeutete Gegenbewegung des Sich-Aufrichtens, abermals hervorgerufen durch die gespannten Oberschenkel und den linken angewinkelten Arm, der den Kopf über dem Boden hält.

Beide Stadien: Entspannung und Spannung halten sich simultan in der Schwebe, so dass immer wieder von neuem der Eindruck einer momentanen Gebärde entsteht. Dadurch wird die Figur offen auf den Betrachter hin, bezieht ihn ein in die elementare Bewegung eines Sich-zur-Ruhe-Lagerns. Der Inselcharakter der Figur inmitten des Wassers hebt diese Wirkung hervor. In ihrer eigensten Dynamik und ihrem organischen Körpervolumen nimmt die Liegende von hier aus die Korrespondenz zur Architektur auf. Seit Henry Moores großer Werkfolge der Reclining Figures und seiner Liegenden vor dem Unesco-Gebäude ist die liegende Figur in Relation zur horizontalen Lagerung der Architektur für das 20. Jahrhundert zu einem bildnerischen Topos geworden, der in seinem Spannungsverhältnis bis in die Gegenwart immer wieder zu neuen künstlerischen Möglichkeiten geführt hat.
 
Im Werk Wanda Pratschkes tritt die nur leicht abstrahierte weibliche Figur mit der Lebendigkeit ihrer organischen Struktur und ihrer momentan wirkenden Dynamik zunächst in starken Kontrast zur statischen Ordnung des Gebäudes. Im Laufe des Wahrnehmungsprozesses jedoch und im vielfachen Wechsel der Perspektive entwickeln sich zunehmend verbindende Bezüge, die die Korrespondenz der Bronze zur Metallverkleidung, die raue Oberflächenstruktur der Liegenden zur Klinkerfassade und die Parallel- und Diagonalstellung von Körperpartien zu Architekturelementen. Variable Komponenten in dieser Wechselwirkung sind Licht, Schatten und Spielungen, verstärkt durch die Wasserfläche, die die Gesamtkomposition in leichter Schwebe hält.

Gleichzeitig vollzieht die Figur in ihrer Bewegung die Anordnung des Platzes mit. Zur offenen Seite der Anlage hin richtet sie sich in der Dehnung des Oberkörpers der Landschaft entgegen. Wölbungen und Senkungen der Körperpartien treten in Bezug zum Hügelland des Hintergrundes. Menschlicher Körper und Landschaftsformation bilden eine strukturelle Einheit, ein in der plastischen Kunst sehr gegenwärtiges Thema. Hinzuweisen wäre auf Beuys Zuordnung des Berges für das männliche und des Tales für das weibliche Prinzip oder Arps In-eins-Nahme der Strukturen und Formen in seiner Bronzefigur „Femme-paysage“.
 
So bildet die Große Liegende des Landratsamtes den plastisch gestalteten Mittelpunkt zu einem Bezugssystem von Platzanlage, Architektur und Landschaft. Zugleich weist sie in leichter Diagonale auf die Plastik von Richard Heß.