"Der Bürger als Souverän" von Richard Heß

die Skulptur eines sitzenden Mannes.
Der Bürger von Richard Heß

Das Landratsamt umschließt einen Innenhof in U-Form, wodurch eine Seite zur Landschaft hin offen bleibt. Diesem Raum ordnet sich die Plastik als architektonisches Element zu. Gemeinsam mit dem Sockel bildet sie einen Quader mit quadratischen Seiten (315 x 315 x 190 cm), der den Platz leicht versetzt zur Mittelachse teilt und schließt. Für diese Idee griff der Künstler auf das Beispiel vor der Scuola di San Marco in Venedig zurück, wo Verrocchios Reiterstandbild des Bartolomeo Colleoni auf einem Sockel den Platz in ähnlicher Versetzung zur Mittelachse teilt.

„Der Bürger als Souverän“ ist eine thematische Plastik. Eine männliche Figur sitzt zwischen zwei Mauerblöcken. Dabei erfolgt die Anordnung von Figur und Blöcken in Parallele zur architektonischen Platzgliederung. Wie die Plastik den Platz in ungleiche Teile teilt, so sitzt die Figur entsprechend versetzt zur Mittelachse zwischen ungleichen Quadern, die in ihrer Breite die Entsprechung zum Platzverhältnis bilden. Die Blöcke stehen im leichten Halbkreis zueinander und sind nach oben abgeschrägt. Der Eindruck ist zwiespältig: einerseits ordnen sie sich der Figur in der Weise eines Thrones zu, verstärkend hierfür wirkt die Ausformung des Sitzes an der Hinterfront in der Art römischer sedes; andererseits wirkt die Figur aber beengt von den Blöcken, so dass kein Platz bleibt für den rechten Arm, während der linke angewinkelte einerseits in einer ausgearbeiteten Lehne ruht, gleichzeitig sich aber mit dem Ellenbogen in den Block hinein Raum zu schaffen scheint.

Die Oberfläche der Quader imitiert Steinstrukturen, raue zerfurchte Partien wechseln mit glatten. Nach rechts treten im Flachrelief zwei Krieger in Rüstung hervor. Der hintere nur schemenhaft angedeutet, verwittert und bruchstückhaft an archäologische Skelettfunde erinnernd, der vordere lebendig, muskulös und bewaffnet bereits aus dem Block freigesetzt. Die Kriegerfiguren zitieren die militärische Vergangenheit des Ortes als Lager und Kastell für römische Truppen in den Zusammenhang der Plastik. Einen weiteren Bezug zum Standort weisen die Kegelstumpf-Vorsprünge des linken Blockes auf, mit dem Relief einer römischen Münze und dem Kreiswappen. Gleichzeitig bildet die Dreizahl der Vorsprünge das Gegengewicht zum nach vorne gerichteten Arm und den Beinen des Sitzenden. Zwischen diesen Mauerresten einer vergangenen Epoche also erhält die Figur ihren Platz.
 
Auffällig erscheint die Kopfform. Sie ähnelt den Helmen der römischen Krieger und verweist auf die übrigen Helmköpfe der Sieger- und Kämpferfiguren von Richard Heß. Auch der David der „David und Goliath“-Gruppe in Frankfurt als Kämpfer „des Geistes“ gegen die „Gewalt“ (R. Heß) trägt den Helm. In der Hofheimer Figur erscheint der Helm als Schutz für den Sitz des Geistes in die Form des Kopfes mit aufgenommen. Der Sitzende ist ein Kopfmensch, nur schwach ausgebildet in seinen Muskelpartien, etwas in sich zusammengesunken mit leichtem Bauchansatz kennzeichnet er den sitzenden, bewegungsarmen Zivilisationsmenschen unserer Gegenwart schlechthin. Doch mitten aus diesem entspannten Phlegma entspringt geballte Kraft.

Der Blick richtet sich starr konzentriert in Richtung des Gebäudes, die Lippen schmal zusammengenommen verraten Entschlossenheit, und die Linke gibt Weisung in hart geführter bestimmender Geste. In der Unbedingtheit dieser Gebärde liegt die zentrale Aussage der Plastik. Es ist „Der Bürger als Souverän“, dem hier Schwäche und Würde seiner Körperlichkeit eine eigentümliche Hoheit verleihen, und der am Ort einer Kreisverwaltung für Bürger, - sich frei stemmend aus der Historie, aber gleichzeitig auf ihr lehnend und aufbauend, - im Bewusstsein seiner geistigen Möglichkeiten mitspricht und bestimmt.
 
Er tritt von außen heran, sitzt dem Gebäude und seiner Funktion in stetiger Gebärde gegenüber. Ihn deutet die Plastik als den eigentlichen „Souverän“ dieses Ortes.
 
Mit in den Bezug von Historie und politischer Gegenwart tänzelt in koketter Drehung von rechts hinten eine allegorische Figur: die Eitelkeit der Welt. Aus einer früheren Version des Bildhauers, der „Frau Welt“ von 1980 entwickelt, vereint sie sinnliche Reize und weltlichen Schmuck mit den Anzeichen körperlichen Verfalls. Zeitlos immer zugegen am Ort von Entscheidungen und politischem Miteinander – in römischer Zeit und heute – mahnt sie an den barocken Vanitas-Gedanken und gibt der plastischen Aussage den leicht ironischen Beiklang.